Gemeinsamer Antrag der Ratsfraktionen DIE LINKE, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD: Seebrücke – schafft sichere Häfen

Stadtratssitzung vom 15.05.2020

Beschlussentwurf:
Der Stadtrat möge beschließen, die Verwaltung wird beauftragt:

  1. Die Stadt Koblenz erklärt sich mit Menschen auf der Flucht und den Zielen der SEEBRÜCKE solidarisch. Der Rat unterstützt wie zahlreiche andere Städte die Initiative „Seebrücke – schafft sichere Häfen“ und deklariert Koblenz als „sicheren Hafen“.
  2. Die Stadt Koblenz positioniert sich öffentlich gegen die Kriminalisierung der Seenotrettung.
  3. Die Stadt Koblenz stellt die schnelle und unkomplizierte Aufnahme und Unterbringung von aus Seenot geretteten Menschen zusätzlich zur Verteilungsquote von Schutzsuchenden sicher: Die Stadt
    Koblenz erklärt sich bereit, aus Seenot gerettete Menschen direkt aufzunehmen und unterzubringen. Diese Aufnahme geschieht zusätzlich zur Verteilungsquote Asylsuchender. Hierzu wird ein Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Inneres und Sport, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und dem Bundesland Rheinland-Pfalz hergestellt.
  4. Die Stadt Koblenz erkennt die dramatische Lage in den überfüllten griechischen Flüchtlingslagern an und die Verwaltung wird beauftragt, die vorhandene nicht genutzte Infrastruktur zu reaktivieren und zu ermitteln, wie viele geflüchtete Menschen, insbesondere Frauen, Kinder, Jugendliche und Corona-Risikogruppen die Stadt Koblenz aufnehmen kann.
  5. Die Stadt Koblenz sorgt für ein langfristiges Ankommen, indem alle notwendigen Ressourcen für eine menschwürdige Versorgung, insbesondere in den Bereichen Wohnen, medizinische Versorgung und Bildung, zur Verfügung gestellt werden.
  6. Die Stadt Koblenz veröffentlicht alle soweit möglichen unternommenen Handlungen, mit denen die Kommune zu einem Sicheren Hafen wird.
  7. Die Stadt Koblenz setzt sich auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene aktiv für die Umsetzung der oben genannten Punkte ein. Des Weiteren appelliert der Rat an die Bundesregierung,
    sich weiterhin und verstärkt für die Bekämpfung der Fluchtursachen einzusetzen, insbesondere für eine gerechte und effektivere Entwicklungshilfe und dafür, dass die Menschen auf dem Mittelmeer
    gerettet werden.
  8. Die Stadt soll innerhalb von zwei Wochen den zuständigen Stellen im Land und Bund anbieten, ein Kontingent besonders schutzbedürftiger in griechischen Flüchtlingslagern festsitzenden Menschen aufzunehmen und den Bundesinnenminister auffordern, seiner humanitären Verpflichtung nachzukommen.
  9. Der Stadtrat dankt allen Koblenzer*innen und den vielen Initiativen in unserer Stadt, die sich in den vergangenen Jahren hilfsbereit und mit großem Engagement um Flüchtlinge gekümmert haben.
    Der Stadtrat dankt auch der Verwaltung dafür, dass sie in guter dezernats- und ämterübergreifender Zusammenarbeit ein tragfähiges Konzept erstellt und weiterentwickelt hat und den Medien, die
    durch ihre Berichtserstattung wesentlich zu der Willkommenskultur in unserer Stadt beitragen.

Begründung:
Gerade in der Corona-Krise müssen wir alle zusammenhalten, wir können in dieser schweren Zeit niemanden zurücklassen.
Die Flüchtlinge, die in den griechischen Inseln ausharren, müssen dringender denn je in Sicherheit gebracht werden. In dem Flüchtlingscamp in Ritsona sind mehrere Bewohner*innen bereits von Corona infiziert. Dort sind etwa 3000 Menschen auf engstem Raum und unter unmenschlichen Bedingungen untergebracht. Soziale Distanz zu wahren ist unmöglich. Das Lager wurde jetzt komplett abgeriegelt und die Bewohnerinnen sind dem Virus schutzlos ausgeliefert.

Überbelegung, schlechte Hygienebedingungen und der Mangel an medizinischer Hilfe sind ein idealer Nährboden für die Ausbreitung des Virus. Wir haben es mit einer humanitären Katastrophe zu tun und wir müssen dieses Unheil vermeiden. Eine schnelle Aufnahme ist nur dem Bund möglich. Dieser verfügt bereits über erprobte Abläufe mit den notwendig zu beteiligenden internationalen Organisationen wie UNHCR und IOM in den Herkunftsregionen.

Angesichts der etwa 40.000 Flüchtlinge, die derzeit noch in den griechischen Lagern in akuter Lebensgefahr sind, ist es beschämend nur 50 Menschen aus diesem Elend befreien zu wollen. Seit vielen Jahren, schon lange vor der Corona-Pandemie, sind uns allen die Missstände in den griechischen Inseln bekannt. Und der Bund ist erst jetzt bereit nur bei wenigen Kinder die dringend notwendige Hilfe zu leisten!

Laut dem Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V. ist die Zahl junger Flüchtlinge, die im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe betreut und versorgt werden seit dem 5. Dezember 2019 von 30.408 auf 26.432 gesunken. Schnelle Hilfe für Flüchtlingskinder aus Griechenland ist als nicht nur nötig, sondern auch möglich!

Wir begrüßen, dass das Integrationsministerium in Rheinland-Pfalz sich schon vor langer Zeit bereit erklärt hat, im Rahmen einer bundesweiten Regelung seinen Beitrag zur Aufnahme von besonders Schutzbedürftigen aus den überfüllten griechischen Flüchtlingslagern zu leisten. Es gibt in Rheinland-Pfalz weitaus mehr ungenützte Kapazitäten, die wieder dafür reaktiviert werden könnten. Zahlreiche Kommunen haben sich wiederholt bereit erklärt Menschen in Not aufzunehmen.

2019 sind 1900 Geflüchtete im Mittelmeer ertrunken. Im Jahr zuvor waren es 2299 laut offiziellen Zahlen. Die Dunkelziffer dürfte in beiden Fällen deutlich höher liegen. Die zivilgesellschaftliche Initiative „Seebrücke – schafft sichere Häfen“ protestiert seit geraumer Zeit gegen das Sterben im
Mittelmeer und gegen die Kriminalisierung von Seenotrettern. Auch in Koblenz haben sich schon Hunderte an „Seebrücke“-Aktionen beteiligt – und noch viel mehr mit zahlreichen Aktivitäten und Initiativen die Bereitschaft der Bevölkerung gezeigt, Hilfe zu leisten und damit auch ihren Willen für eine solche Deklaration demonstriert.

Viele Städte in Europa haben sich bereits solidarisiert und
angeboten, in Seenot geratene Menschen aufzunehmen. Die Stadt Koblenz soll hier ebenfalls ein Zeichen für Menschlichkeit und Frieden setzen. In den letzten Jahren hat die Bevölkerung von Koblenz gemeinsam mit Verwaltung und Politik gezeigt, dass sie bereit und fähig ist, geflüchtete Menschen aufzunehmen und zu integrieren. Diesen Weg muss Koblenz weitergehen und damit ein deutliches Zeichen von Menschlichkeit und Offenheit unserer Stadt und ihrer Menschen setzen – und dadurch auch ein Gegengewicht zu steigender Fremdenfeindlichkeit und Hass gegenüber hilfsbedürftigen Menschen.

Wir werden uns weiterhin politisch dafür einsetzen, dass Deutschland seine humanitäre Verpflichtung nachkommt, damit eine Zuspitzung der humanitären Katastrophe auf den Inseln oder auf dem
Meer abgewendet werden kann.